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Landpartie Heidekreis im Interview

Landpartie Heidekreis im interview

„Hier werden nicht nur die medizinischen Perspektiven aufgezeigt“

Nicht nur die Patienten werden älter im Heidekreis, sondern auch unsere Ärztinnen und Ärzte. Viele gehen in den nächsten Jahren in den wohlverdienten Ruhestand. Doch wie wird es dann für uns weitergehen? Ein wichtiger Baustein, um die ärztliche Versorgung im Landkreis auch zukünftig gewährleisten zu können, ist die Landpartie Heidekreis. 

Frau Dr. Britta Bostelmann-Häusser ist niedergelassene hausärztlich tätige Internistin im Hausarztzentrum im Medicum Walsrode und Mitgründerin und Begleiterin des Langzeitprojektes „Landpartie Heidekreis“. Hinter der Landpartie steht die Motivation, Ärztinnen und Ärzte für die ländliche Region zu begeistern und so der drohenden ärztlichen Versorgung entgegenzuwirken. Studierende der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) dürfen während der Landpartie ein vierzehntägiges Praktikum in einer Hausarztpraxis hier im Heidekreis absolvieren. Dabei lernen sie nicht nur die Tätigkeiten in einer Landarztpraxis kennen, sondern auch die gesellschaftliche Perspektive des Heidekreises. Jonas Windrich ist Medizinstudent an der MHH und Teil der aktuellen Landpartie. Er konnte sich auf einen der fünf ausgeschriebenen Plätze bewerben und hat einen Platz erhalten. Im Interview sprechen beide über ihre Ambition und die Perspektiven die die Landpartie Heidekreis mit sich bringt. 

 

 

Welche Motivation steht hinter dem Projekt Landpartie? Was bewegt Sie junge Medizinstudierende in Ihre Praxis einzuladen?

Ich möchte meine Tätigkeit als Praxisinhaberin in einer Landarztpraxis den Studierenden der MHH näherbringen und zeigen, was für eine erfüllende Arbeit ich jeden Tag ausübe. Ich engagiere mich gerne in diesem Projekt. Für den Heidekreis kann es ein gewinnbringendes Projekt sein, wenn sich Studierende nach Abschluss dazu entscheiden, sich hier in der Region niederzulassen oder sich anstellen zu lassen. Der Altersdurchschnitt der Praxisinhaber ist hier bei uns sehr hoch und wir sehen, dass Praxen Nachwuchssorgen haben und damit die medizinische Versorgung der Bevölkerung gefährdet ist. 

 

Welche Einblicke und Erfahrungen möchten Sie den Studierenden während ihres Praktikums vermitteln? 

Ich möchte den Studierenden meinen Arbeitsalltag in einer Landarztpraxis demonstrieren. Sie sollen Einblicke in Arbeitsablauf, Diagnostik und Therapie bekommen und sehen, dass dies eine anspruchsvolle und sehr zufriedenstellende Tätigkeit sein kann. 

 

Wie hat sich nach Ihren Erfahrungen das Projekt „Landpartie“ im Laufe der Zeit entwickelt und welche Erfolge haben Sie bereits erzielt? 

Das Projekt läuft seit sechs Jahren und ich bin seit Beginn dabei und werde bei den Patienten oft mit diesem Projekt in Zusammenhang gebracht. Einige der Studierenden konnten sich nach dem Praktikum vorstellen in einer Landarztpraxis zu arbeiten. Unsere Praxis könnte genauso gut in einer größeren Stadt sein. Die Praxisinhaber haben Gestaltungsmöglichkeiten und können ihre Praxis so führen, wie sie es sich wünschen. Die Studierenden sehen also, dass wir hier auf dem Land keinen Vergleich mit einer Niederlassung in einer Großstadt scheuen müssen. Die Studierenden sind meistens mit einem sehr positiven Eindruck aus dem Projekt gegangen und haben in der Medizinischen Hochschule Hannover ihre positiven Erfahrungen aus dem Heidekreis weitergegeben. Damit sind sie bei ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen Meinungsgeber und Unterstützer, wenn es darum geht, hier zu arbeiten. 

 

Wie ist das Feedback Ihrer Pateinten zu Ihrem Engagement und auch zu den Praktikantinnen und Praktikanten? 

Das Feedback der Patientinnen und Patienten in der Praxis ist durchweg positiv. Sie haben Verständnis dafür, dass mit den Studierenden kleine Fallkonferenzen erfolgen, nachdem die Studierenden ein Erstgespräch oder eine Erstuntersuchung vorgenommen haben. Sie schätzen die Teilnahme an diesem Projekt, weil sie sehen, dass die hausärztliche Versorgung gefährdet ist und Engagement gefordert ist. 

 

Welche langfristigen Ziele sehen Sie in diesem Projekt? 

Das langfristige Ziel sehe ich darin, für den Heidekreis als Arbeitgeber zu werben und natürlich darin Ärztinnen und Ärzte für die Landarztpraxen zu begeistern. 

 

Welche Schwierigkeiten? 

Eine Schwierigkeit wird sein, die politische Akzeptanz für das Projekt zu erhalten, sollten sich Studierenden aus den ehemaligen Landpartien nicht für eine Anstellung oder Niederlassung im Heidekreis entscheiden. Eine weitere Schwierigkeit könnte darin liegen, bei den immer älter werdenden Praxisinhabern, Praxen zu finden, die als Lehrarztpraxis der Hochschule fungieren und damit das Projekt weiterhin unterstützen können. Denn nicht jede Praxis kann automatisch eine Lehrarztpraxis der MHH sein. 

 

Was motiviert Sie in einer Kleinstadt als Hausärztin zu praktizieren? 

Ich bin Fachärztin für innere Medizin und habe zehn Jahre in einer Klinik in Hannover gearbeitet. Seit 2011 bin ich als niedergelassene hausärztliche Internistin in Walsrode tätig. Seit 2023 im „Hausarztzentrum im Medicum“. Ich arbeite mit sehr viel Freude und die Tatsache, dass ich nach meinen Ansprüchen und Vorstellungen die Praxis führen und gestalten kann, ist der entscheidende Punkt für meine berufliche Zufriedenheit. Ich fühle mich wohl damit Ärztin für die ganze Familie zu sein und schätze es, wenn ich Patientinnen und Patienten auch mal beim Einkaufen oder Sport treffe. Ich bin hier viel dichter an meinen Patienten, was mir in der Anonymität der Großstadt fehlen würde. 

 

Jonas Windrich ist 31 Jahre, studiert Medizin an der Medizinischen Hochschule Hannover und ist Teil der aktuellen Landpartie. Sein vierzehntägiges Praktikum absolviert er bei Frau Dr. Bostelmann  Häusser. Im Interview wurde auch er zu seiner Bereitschaft als Landarzt zu arbeiten und seiner Einstellung zur Landpartie und zum Heidekreis befragt. 

 

Was hat Sie dazu motiviert, sich für den Heidekreis zu entscheiden? 

Als das Projekt „Landpartie“ im Rahmen des Blockpraktikums Allgemeinmedizin vorgestellt wurde, war ich schnell begeistert. Mir ist es wichtig neue Perspektiven kennen zu lernen, wie in diesem Fall die des „Landarztes“ und des Praktizierens auf dem Land. Für mich war es also zu Anfangs zweitrangig in welcher Region in die Erfahrungen der Landpartie sammeln darf. Jetzt nach der ersten Woche kann ich sagen, ich bin sehr froh im Heidekreis gelandet zu sein.

 

Denken Sie, dass das Landpartie Praktikum Ihre zukünftige Karriereentscheidung beeinflussen könnte?

Auf jeden Fall. Ich denke jede neue Erfahrung und jeder andere Blickwinkel lässt uns unsere Entscheidungen fundierter Treffen. Das Praktikum in der Landpartie hat mich neue und positive Erlebnisse machen lassen, die mich nicht nur persönlich bereichert haben, sondern mir auch bei meiner beruflichen Zukunftsfindung nach dem Studium helfen werden.

 

Wie schätzen Sie das Arbeiten und Leben als Arzt in einer ländlichen Region ein und welchen Stellenwert hat eben dieses für Sie? 

In meiner bisher kurzen Zeit im „Hausarztzentrum im Medicum“, habe ich besonders die enge Patientenbindung als sehr positiv wahrgenommen. Der Stellenwert des Hausarztes als Vertrauensperson, Gesprächspartner und langjähriger Begleiter in allen, häufig auch schwierigen Lebenslagen, ist hier sehr hoch. Das empfinde ich als sehr wertvoll. Die Anonymität, die die Stadt einem bietet, ist hier weniger präsent. Ich habe erlebt, dass der Arzt infolgedessen natürlich auch über die Praxisgrenzen hinweg, in seiner Funktion als Arzt, wahrgenommen wird. Das macht eine Trennung von Beruflichem und Privatem bestimmt nicht immer leicht und ist eine besondere Situation, die viel Fingerspitzengefühl verlangt. Ich denke es ist sehr individuell und eine persönliche Entscheidung, ob dies einem liegt. 

Außerdem gefällt mir die Möglichkeit sich die Arbeit und die Abläufe in einer Praxis nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten zu können.

 

Welche langfristigen Auswirkungen hat die Work-Life-Balance auf Ihre Entscheidung bezüglich Ihrer zukünftigen Karriere in der Medizin? 

Häufig wird die Work-Life-Balance von älteren Generationen belächelt. Doch auch ich muss sagen, die Thematik und ein ausgeglichenes Verhältnis von Arbeit und Freizeit ist mir sehr wichtig. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine bessere und nachhaltigere Arbeit verrichten, wenn wir diese ausgeglichen und mit Energiereserven bestreiten können. Gerade in der Arbeit mit Menschen und einem Beruf mit viel Verantwortung, möchte ich mir sicher sein, dass diese auch meiner bestmöglichen Leistung entspricht. Neben der intrinsischen Motivation und der Kraft, die man mit Sicherheit auch aus der Tätigkeit als Arzt ziehen kann, kommt ein Teil der Energie eben auch aus dem „Life“-Teil. 

Ich persönlich weiß, dass ich in der Zeit als Assistenzarzt sehr viel arbeiten werde und freue mich darauf. Aber perspektivisch denke ich auch daran, was in 20 Jahren sein könnte. Dies wird mit Sicherheit auch die Wahl meiner Fachrichtung beeinflussen.

 

Wenn Sie sich für eine ländliche Region entscheiden, in welchem Alter würden Sie sich hier sehen?

Für mich persönlich ist es wichtig möglichst viel zu sehen und kennen zu lernen. So möchte ich meine Weiterbildung gerne in einer Universitätsklinik starten. Ich bin überzeugt, dass die Erfahrungen und Ausbildung, die ich in einer Klinik erwerben kann, für die spätere Arbeit in einer Praxis eine Bereicherung darstellen und nur von Vorteil sind. Auf dem Land sehe ich mich also frühestens in ein paar Jahren.  

 

Wie gefällt Ihnen der Heidekreis? 

Die Erfahrungen im Heidekreis stellen sich für mich bislang durchweg als positiv dar. Das wirklich wertvolle an dem Projekt „Landpartie“ ist, dass wir nicht nur eine medizinische Ausbildung in unseren Lehrarztpraxen genießen dürfen, sondern uns auch eine gesellschaftliche und kulturelle Perspektive ermöglicht wird. Der Heidekreis macht Spaß. Es ist super, dass uns auch bei gemeinsamen Abendessen der Austausch mit hier tätigen Ärzten und Ärztinnen ermöglicht wird und wir die tollen Freizeitaktivitäten des Heidekreises nach Feierabend kennen lernen. Nur so können wir uns ein ganzheitliches Bild vom Arbeiten und Leben als Arzt auf dem Land machen. Von den Menschen, insbesondere auch von den Patienten in den Praxen, sind wir herzlich aufgenommen worden. 

 

Was denken Sie über die Landpartie? 

Die Landpartie ist ein wertvolles Programm. Die durchweg tollen Erfahrungen, die gute Ausbildung und das Rahmenprogramm werde ich mit zurück an die MHH und in meinen Jahrgang nehmen. Wir tauschen uns natürlich über die unterschiedlichen Erfahrungen während unserer Praktikumszeit aus. Wir, von der Landpartie, tragen diese in einen ganzen Jahrgang zurück und auch darüber hinaus ins private Umfeld. Eine Auseinandersetzung mit der Möglichkeit auf dem Land zu praktizieren findet also nicht nur bei uns Teilnehmenden statt, auch Kommilitonen ziehen dies in Erwägung und behalten diese Option für zukünftige Entscheidungen im Hinterkopf.

Ein großes Dankeschön an dieser Stelle an die beeindruckende Organisation, insbesondere durch Frau Führer vom Heidekreis, der Landpartie und die begleitenden Praxen. Es ist spürbar, dass alle von ihrem Beruf überzeugt sind und hinter ihrer Arbeit stehen. Das motiviert auch uns angehende Ärzte. 

 

Abschließend lässt sich über die Landpartie sagen, dass der jetzige Zeitpunkt für eine eigene Niederlassung für diese Studierenden noch viel zu früh ist. Verständlich und auch bewusst. Die Übernahme oder auch die Eröffnung einer eigenen Praxis ist mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden und die jungen Ärztinnen und Ärzte möchten erst Erfahrungen sammeln, eventuell in der Großstadt oder auch im Ausland, bevor sie das Projekt „Landarztpraxis“ angehen. Aber genau darauf zielt die Landpartie ab. Seit sechs Jahren kommen Studierende in den Heidekreis, mehr als 80 angehende Medizinerinnen und Mediziner haben das Leben und das Arbeiten im Heidekreis bereits kennengelernt. Nicht alle werden den Heidekreis als potentiellen Lebensmittepunkt sehen und zurückkehren, aber einige vielleicht schon. Sie werden sich an die gute Ausbildung, den netten Kontakt, die gute Organisation, die familiäre Betreuung oder aber auch an die finanzielle Förderung erinnern.  Oder sie werden ihren Kolleginnen und Kolleginnen von ihren Erfahrungen im Heidekreis berichten. Und genau dann sind wir hier und werden sie unterstützen, wenn sie ihren Platz in der medizinischen Versorgung im Heidekreises finden möchten.